Dienstag, 6. Oktober 2015
NEVER - EVER - AGAIN
Hier hätte eigentlich ein fröhlicher Bericht über meine Teilnahme an der Eroica 2015 stehen sollen.
Allein, es kam alles anders.

Nach den schönen Erlebnissen der Frühjahrseroica hatte ich mich auch zur klassischen Eoica in Gaiole gemeldet. Die 10km Mehr als in Buonconvento würde ich schon schaffen, ich hatte dort ja noch Luft.

Das schöne Lutz, das mir der Teamkapitän zur Verfügung stellte, befand sich noch in der Toskana und neue stilechte Bekleidung hatte ich mir auch schon angeschafft.
Die Vorfreude stieg also an.

Alles begann sich aber letzte Woche zu ändern.
Das usprünglich vorausgesagte schöne Herbstwetter sollte doch nicht kommen. Stattdessen sagten alle Wetterberichte für Sonntag Regen voraus.

Zu allem Überfluß bekam ich seit Mittwoch schreckliches Halskratzen, was sich bis Donnerstag zur einer veritablen schweren Erkältung auswuchs.

Nichtsdestrotrotz startete ich am Freitag richtung Toskana und erholte mich in der frischen Luft bei gutem Essen relativ schnell.
Vielleicht haben aber auch die vielfältigen Mittelchen der modernen Pharmazie dazu beigetragen.

Also ging es am Sonntag um fünf Uhr los von Lucca nach Gaiole. Der erste Dämpfer schon beim Schritt vor die Haustür, denn auf den lucchesischen Hügeln regnete es schon.
Glücklicherweise war es aber im Chianti dann trocken.

Das Rad war schnell ausgepackt, die Anmeldeprozedur ging italienisch entspannt vor sich und der Start war fast pünktlich. Es sah dann doch erstmal alles ganz gut aus.

Allerdings war die nächste Schreckensnachricht, daß die Strecke, für die ich mich gemeldet hatte, plötzlich um 8 Kilometer verlängert worden war.

Was soll's, dachte ich. Einfach mal losfahren, ist ja meine Abschiedstour.

Das Peloton rollte gemütlich an und anfangs ging es auf Asphalt eben dahin.

Kaum waren wir aber bei dem Mörderansteig
zum Castel Brolio angelangt, fing es an zu schütten.
Die leichte Regenjacke war in Nu durch, die Schuhe voll Wasser gelaufen und das Woll Trickot und die Shorts hingen schwer am Leib.

Die Abfahrt ging dann nicht über strade bianche, sonder über strade brune, braun vom Schlamm, der bald auch Mensch und Material überzogen hatte.

Ich war sicher, daß sich meine Erkältung zu einer schweren Lungeentzündung ausweiten würde, wenn mich nicht zuvor ein Blitz träfe. Es donnerte schon sehr verdächtig.

Aber einmal gestartet, wollte ich auch weiter machen.
Es würde das letzte mal sein, daß ich an diesem Wahnsinn teilnehme. Nochmal mache ich da nicht mit.

Nach der Abfahrt kamen wieder Anstiege, natürlich durch den vielen regen mitlerweile batzig, was das Treten noch beschwerlicher machte.
Bergab knirschte der Sand in den Bremsen. Ein schwerer Sturz war nur eine Frag der Zeit, sagte ich mir.

An den steilen Stellen schob ich bergauf, das ist bei der Eroica keine Schande. Nochdazu würde ich eh nie wieder hierherkommen und mich dem Wahnsinn aussetzen.
Ich dachte an ein warmes Kaminfeuer, das ich mir hätte zu Hause anzünden können. An die schönen Toskana Bildbände, die ich nächstes Jahr ansehen werde, statt mit voll Wasser gelaufenen Schuhen plitsch platsch ein Rad nach oben zu schieben.

Den Regen spürte ich gar nicht mehr, bzw merkte gar nicht, daß er aufgehört hatte.

Allerdings merkte ich etwas anderes. Die Kurbelei ging langsam immer unrunder vor sich. Und es wäre nicht die materialmordende Eroica, wenn nicht diesmal auch das treue Lutz nicht Schaden genommen hätte.
Die Mutter des linken Kurbelarms hatte sich durch die Rüttelei langsam gelockert und der Kurbelarm in der Aufnahme ausgeschlagen.
Leider war ich schon 3 Kilometer am servizio tecnico vorbei und Umkehren wollte ich nicht.
Also hieß es wieder schieben, wenn es bergan ging und rollen, wenn es bergab ging.
Die Strecke zum ristoro, der Verpflegungsstation, zog sich und so machte ich mir Gedanken, wie ich meine Rennräder bestmöglichst verkaufen könnte, ob der Teamkapitän böse sei, wegen des beschädigten Lutz und wie ich überhaupt so blöd sein konnte, hierher zu kommen.
Ein deutliches Pling weckte mich aus meinen Träumen und die Kurbel lag auf der Straße.
"Porca miseria" rief der nette Italiener, der das Unheil mitbekommen hatte.

Und so rollte ich mit der Kurbel in der Hand in einer Schußfahrt nach Devio hinab zur Verpflegungsstation.

Erstmal Pecorino, Panforte die Siena, Salami- und Schinkenbrote gefaßt und dazu einen Becher Chianti.
Wenigstens hatte ich es bis hierher geschafft bei meiner endgültig letzten Eroica Teilnahme. Nächstes Jahr würde ich lieber die Pinacoteca in Siena an einem Regenwochenende besuchen, als schlammverdreckt ein kaputtes Stahlrad über Berge zu schieben. Porca miseria!!
Leider gab es keinen technischen Service an der Raststation, aber einer der freundlichen Menschen am Weinfaß hatte etwas Werkzeug und so befestigten wir die Kurbel wieder notdürftig. In der Ebene würde es schon halten und bergan müßte ich dann weiterhin schieben.
Es waren nur noch 14km zurück nach Gaiole. Also ging es für mich weiter und nicht wie der arme Engländer in der Ambulanza, nachdem er bei der Abfahrt in den Wald gerast war und Mensch und Maschine verbogen wurden.

In der Mitte des nächsten Anstieges kam das nächste Argument, weshalb ich nie wieder hier teilnehmen würde. Ein deutlich jünger und sportlicher als ich aussehender Teilnehmer lag mit einem Kreislaufkollaps unter einer Rettungsdecke und wartete auf die nächste Ambulanz.

Endlich kam das letzte Teilstück und es sollte nur noch Teerstaße sein. Allerdings eierte die Kurbel schon wieder bedenklich und ich belastete nur noch die rechte Seite beim Treten.
Es waren jetzt noch acht Kilometer bis Gaiole ins Ziel.

Am Straßenrand sprach ich einen anderen Wahnsinnigen an, der glücklicherweise passendes Werkzeug dabei hatte.
Ich zog die Mutter nochmals fest und startete wieder. Aber die Freude währte nicht lang und pling lag die beschissene Kurbel wieder auf der Chaussee. Jetzt war wirklich nichts mehr zu machen und ich begann wieder zuschieben. Nochmals 5 Kilometer, ich war ja in Übung. Es ist ja eh das letzte Mal.
Den Besenwagen des Veranstalters schickte ich 3 Km vor dem Ziel verächtlich weiter; ich wollteaus eigener Kraft ankommen.

Die ersten Häuser von Gaiole waren zu sehen, tatütata brauste eine Ambulanz an mir vorbei. Das Lazarettzelt war voll mit geschundenen Radlern aber ich würde es schaffen. Meine Laune stieg vor Schritt zu Schritt
Rechts und links kamen nun die Absperrgitter und hunderte von Zuschauern an denen ich vorbeizog. Als ich meine abgefallene Kurbel in die Höhe hielt, kam Sonderapplaus auf."Forza, sei bravo" -Rufe beflügelten mich und dann war ich im Ziel, erhielt den Ankunftsstempel ins Road Book und meine Plakette für die erfolgreiche Teilnhame umgehängt.

Gibt es was Schöneres, dachte ich mir. Ein Glücksgefühl fegte die ganze Müdigkeit, die Erschöfung und die Schmerzen weg. Die Eroica gemeistert zu haben, trotz Gewitter, Erkältung, Schlamm und Panne ohne Ambukanz, ohne Besenwagen nur aus eigener Kraft. Für mich einfach unbeschreiblch schön.

Ich hoffte gleich, daß der Teamkapitän das Lutz wieder reparieren könnte und mir auch weiter zu Verfügung stellt. Denn im Mai, in Buonconvento zur Eroica Primavera will ich natürlich wieder starten!

Was, never again soll ich gesagt haben? So ein Unsinn. Forza ragazzi! A la prossima ! Ci vedremo. Siamo eroi!

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