Mittwoch, 28. September 2016
Blutspur
Mitte der 1960er Jahre kam ich das erste Mal nach Italien und in die Lucchesia.

Alle Menschen waren sehr freundlich, ja nachgerade herzlich zu uns.
Jeder im kleinen Dorf, ob jung oder alt hieß uns willkommen.

Umso verstörter war ich, als wir eines Nachmittags bei einem Spaziergang durch die Wälder des Nachbardorfes von einer alten Frau richtig feindselig angegangen wurden.

Wir hatte uns wegen eines Gewitters kurz in einem verlassenen Metato untergestellt, wo das alte Mütterlein an einem Kruzifix frische Blumen anbrachte.
Was die Frau sagte, verstand ich nicht, aber am Tonfall und Körpersprache war eine Beschimpfung unschwer zu erkennen.

"Die Deutschen haben während des Krieges den Pfarrer erschossen und deshalb mag sie keine Deutschen", erklärte uns meine Mutter.

Das war das erste Mal, daß ich mit der blutigen Vergangenheit dieses schönen Landstrichs in Berührung kam und es war auch das letzte Mal, daß dort jemand mich seine Abneigung gegen Deutsche spüren ließ.

Und es würde einen kaum verwundern, wenn es anders wäre, so wie gerade in der Umgebung von Lucca

Deutsche in den wenigen Wochen kurz vor der Befreiung im September 1944
gehaust haben und eine schrecklich Blutspur hinterließen.
Diese Bilder hier habe ich an Orten im Umkreis von weniger als 20 Kilometern gemacht.

Es sind viel Orte, wo gemordet wurde. Nicht nur die bekannten Massaker wie Sant'Anna.

Überall findet man Gedenksteine und Erinnerungen an die Mordtaten. Und es ist gut, daß daran erinnert wird.







Auf meinem Grundstück fanden zwei Amerikaner den Tod als sie in einen Hinterhalt gerieten. Das einfache Kreuz, daß der frühere Contadino an dieser Stelle aufgestellt hatte, war verfallen und ich habe es jetzt durch ein neues ersetzt.

Außer diesem einem Mal vor 50 Jahren habe ich nie wieder irgendwelche Anfeindungen in Italien wegen der deutschen Verbrechen erlebt.

Auch jetzt nicht, als über den Tod eines der Täter berichtet wurde, der nie nur einen Tag im Gefängnis saß.

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*seufz*
Gemessen an all dem gigantischen Unheil, das die Deutschen in jenen unseligen Jahren gestiftet haben, ist es nachgerade erstaunlich, dass einem nicht viel mehr Hass entgegenschlägt.

Ich finde es eine schöne Geste, dass Sie das Kreuz für die beiden Amerikaner erneuert haben.

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Ich habe zahlreiche Bücher zum Thema gelesen - vornehmlich Biographien, Sachbücher, Ausstellungskataloge, Opfer- und Tätererinnerungen. Erst hat mich bloßes Sach-Interesse als Folge des Geschichtsunterrichts und dann immer mehr das Verlangen nach dem Verstehen-Wollen dazu veranlasst. Und je mehr ich im Laufe der Jahre dazu gelesen habe, desto mehr ist mir bewußt geworden, dass ich diese Urkatastrophe der Menschheit niemals begreifen werde können - einfach weil sie zu brutal, zu menschenverachtend, zu vielschichtig und zu nahegehend ist.

Ich denke, gerade solche einfachen Gesten wie das Erhalten eines Kreuzes oder das Anzünden einer Kerze oder das Pflanzen eines besonderen Baumes sind - zumindest für mich - eine Möglichkeit, mit dieser Ungeheuerlichkeit umzugehen. Vor allem dann, wenn es in der Familie nicht nur Opfer gab.

Deshalb freut es mich, dass Sie diesen Weg gewählt haben.

Herzlichste Grüße
urriegel

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